HERZLICHEN DANK DER ‚RHEINPFALZ‘ FÜR DIESE REZENSION!
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Speyerer Rundschau vom 12.09.2022
Kühne Sprünge
Andreas Jetter spielt Rott-Sinfonie auf der Domorgel
Von Kurt Witterstätter
Churs Kathedral-Organist Andreas Jetter macht im Speyerer Dom mit der von ihm für Orgel eingerichteten ersten Sinfonie des vergessenen Wiener Spätromantikers Hans Rott bekannt. Der Gast an der
Domorgel spielt sich mit feurigem Zugriff in Rausch und Teufelsritt.
Das hat es bei den Dom-Musikabenden des Speyerer Internationalen Orgelzyklus bislang noch nie gegeben: Nur ein einziges Stück, das ursprünglich gar nicht einmal für die Orgel geschrieben worden
ist. Der Kathedral-Organist am schweizerischen Chur und Radolfzeller Münster-Kantor Andreas Jetter bestieg am Samstagabend die Domorgel-Empore zur Ehrenrettung der ersten Sinfonie des 1884 mit
nur 25 Jahren verstorbenen Wieners Hans Rott. Der auch als Pianist und Dirigent universelle Jetter spielte die 1880 entstandene viersätzige Sinfonie in einer von ihm im Vorjahr besorgten eigenen
Orgel-Transkription liebevoll im Detail, eloquent in ihrem blutvollen Gefüge und mit feurigem Zugriff ihrer fulminanten Entwicklungen.
Früh gestorbener Meister
Das besagt schon, dass sich die verspätete Vorstellung von Rotts Sinfonie nicht nur lohnte, sondern auch überfällig ist. Dem mit nur 25 Jahren durch unglückliche Lebensumstände nach einer
notgedrungenen Zwischenstation im elsässischen Mülhausen in einer Wiener Anstalt verstorbenen Rott blieb eine Aufführung seiner gestaltenreichen, formal schlüssigen und wuchtigen Sinfonie nicht
nur zu seinen Lebzeiten versagt. Es sollte über hundert Jahre dauern, bis das an der neudeutschen Instrumentierung Liszts und Wagners orientierte, aber satz-formal in Bruckners Strenge
gefertigte, gut einstündige Werk in den Vereinigten Staaten uraufgeführt wurde. Inzwischen haben sich namhafte Dirigentinnen und Dirigenten wie Paavo Järvi, Catherine Rückwardt und Constantin
Trinks auch in Europa der ideenreichen, hymnischen, dramatischen, auch lyrischen Sinfonie angenommen.
Schüler von Bruckner
Orgelgast Jetter stellte nun im gut besuchten Dom seine Orgelfassung der in vielem schon Gustav Mahler vorwegnehmenden Rott-Sinfonie vor. Keine Frage, dass Jetter die weitgehend polyphone
Struktur des Werkes im Sinne von Mahlers farbiger Vielstimmigkeit betonte. Die an Rotts Kompositionslehrer Anton Bruckner orientierten aufwallenden Entwicklungen auf der Grundlage von kühnen
Motiv-Sprüngen erhalten in Jetters Orgelfassung eine geradezu monumentale Wucht. Lyrische Bläserkantilenen sind wie geschaffen für ein geschmackvolles Registerspiel. Groteske Verfremdungen und
katastrophische Zuspitzungen, wie sie Mahler später sinfonisch vielfach vollzog, konnten in der Orgelversion mit Zungenstimmen und Schwell-Dynamik suggeriert werden.
Mahlers Vorbild
Dass der Schöpfer der Orgelfassung von Rotts E-Dur-Sinfonie selbst am Spieltisch der Speyerer Domorgel sass, darf als besonders glücklicher Umstand gesehen werden. Einer der Knackpunkte von Rotts
Sinfonie ist ihr an dritter Stelle stehendes Scherzo. Es mutet in seiner stampfenden Rhythmik wie eine Vorwegnahme des Scherzo-Satzes von Mahlers Ländler-Scherzo von dessen erster Sinfonie an.
Jetter gab ihm mit Zungenstimmen ganz seine ihm innewohnende wuchtige, ja derbe Kraft mit, akzentuierte gezielt und griffig. Das brodelte, tobte, schepperte und polterte nur so, so dass groteske
Nachsätze fast untergingen. Liebevoll vertiefte sich Jetter in die verhaltene Lyrik des Trio-Teils. Die bei Rott erheblich angereicherte Rückführung zum dadurch in der Wiederholung wesentlich
erweiterten A-Teil machte Jetter zum schwungvoll-rabiaten Teufelsritt.
Wahrer Rausch im Finale
Noch so ein spektakuläres Moment hielt Jetters Speyerer Auftritt nach dem die Dialoge in farbiger Plastizität gegebenen Kopfsatz und dem in träumerischer Entrückung hingezauberten Adagio bereit:
Im mit 23 Minuten längsten der vier Sätze, dem Finale mit seinem ruhigen kammermusikalischen Beginn und seiner Doppelfuge am Schluss, spielte sich der Schöpfer der Orgelfassung mit eloquent
heraus gehobener Hymnik und mit strahlender Emphase in einen wahren Rausch. Ostinate Figurenreihen pfiffen nur so durch den Dom. Die Ballungen der eng rhythmisierten Tutti-Akkorde milderte er
durch pointiertes Spiel. Der Doppelfuge vermittelte Jetter stürmische, majestätische Intensität. Mit zartem Bedacht intonierte er den Epilog. Die beeindruckte Hörerschaft im Dom dankte am Ende
des 65-minütigen Kolosses dem Interpreten mit langem Beifall im Stehen.
Felix Nowowiejski (1877-1946): QUO VADIS?
.. ein lang gehegter Wunsch wird wahr:
am Wochenende wird die Aufführung des monumentalen Oratoriums "Quo vadis?" von Felix Nowowiejski (1877-1946) Wirklichkeit. Felix Nowowiejski stammt - wie auch meine Vorfahren - aus Ostpreußen. Im Adressbuch der Stadt Allenstein 1901 findet er sich (mit vielen Anderen) auch gemeinsam mit meinen Ur-Urgroßeltern als Bürger dieser Stadt. Ganz ungeachtet dieser persönlichen Verbindungen war Nowowiejski ein begnadeter Komponist. Die reiche und spannend orchestrierte Partitur des Werkes weist deutlich in Richtung eines Gustav Mahler oder Richard Strauss und verspricht den Hörern Spätromantik der Superlative. Bis 1920 war das Werk das meistgespielte Oratorium seiner Zeit, sein Siegeszug erstreckte sich von Berlin bis New York. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges verschwand es jäh von allen Spielplänen im deutschsprachigen Raum, während Nowowiejski hingegen in Polen (der ethnischen Heimat seiner Vorfahren väterlicherseits) Ruhm erlangte, der bis heute fortwährt.
Ich freue mich gemeinsam mit den Solisten Irene Mattausch (Sopran), Markus Volpert (Bariton), Szymon Chojnacki (Bass), den Sägerinnen und Sängern des Bodensee-Madrigalchors und der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz, wenn Sie die Konzerte am Freitag, 8. März um 20 Uhr in der Liebfrauenkirche Singen/Hohentwiel oder am Samstag, 9. März um 19 Uhr in der Pauluskirche Ulm besuchen.
Erleben SIe dieses fesselnde Wunderwerk deutscher Spätromantik.
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2019/03 , Seite 62
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Es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis, Orgelmusik zu entdecken, die nicht unbedingt im alltäglichen Konzertbetrieb zu finden ist und oft ihrer Aufführung harrt. Genau das trifft auf die
Weltersteinspielung der sogenannten Elbinger Orgelwerke von Max Gulbins zu. Damit präsentiert Andreas Jetter wahrlich eine Rarität. Beim Studium dieser in prächtigem Format gestalteten Doppel-CD
wurde ich an die kritisch zu hinterfragende Sentenz von Hermann Keller erinnert (im Nachwort seiner Kunst des Orgelspiels), dass das ‚eigentliche‘ Orgelrepertoire doch recht schmal bemessen sei.
Tatsächlich stellt jedoch die Literatur für die Orgel einen fast unüberschaubaren Kosmos dar, und dazu gehört auch die bisher viel zu wenig beachtete Musik von Max Gulbins. Die rundum gelungene
Einspielung Andreas Jetters schickt uns auf eine spannende Entdeckungsreise in die expressive Klangwelt Gulbins’.
Die in Gulbins’ Amtszeit als Organist, Kantor und Chordirigent im westpreußischen Elbing zwischen 1900 und 1904 entstandenen Orgelwerke verlangen mit ihrer opulenten Klangsprache nach einer
respektablen sinfonischen Monumentalorgel. Die Suche nach einem derartigen Instrument war für Jetter keine leichte Aufgabe, denn die in Frage kommenden Orgeln der Region mit den Wirkungsstätten
von Gulbins sind entweder den Kriegswirren oder späteren Bränden zum Opfer gefallen. Deshalb richtete er sein Augenmerk auf die imposante Kuhn-Orgel in der Hofkirche in Luzern mit ihren
stattlichen fünf Manualen und über 150 Registern.
Auch wenn keine direkte Beziehung von dieser Orgel zu Gulbins existiert, so war das eine sehr gute Wahl für die teilweise fulminant, teilweise recht polyphon, aber auch oft intim daherkommende
vielgestaltige Musik des Komponisten, bei der man in den polyphonen Passagen durchaus eine Nähe zu Reger verspürt. Dieser hat sich übrigens ausführlich und überaus begeistert über sie
geäußert.
Mit der überbordenden Disposition der Kuhn-Orgel stellte es für Andreas Jetter kein Problem dar, die im Notentext von Gulbins detailliert notierten Registrieranweisungen optimal umzusetzen.
Jetters vehementem Spiel spürt man keineswegs die hohen technischen Anforderungen dieser Werke an; man fühlt, dass hier ein virtuoser Organist mit viel Engagement am Werk war. Insofern trägt er
die Musik Gulbins’ mit Brillanz und Spürsinn für die delikaten Passagen vor, vernachlässigt nie die gute Durchhörbarkeit der zahlreichen klanglichen Eruptionen und setzt oft starke dynamische
Kontraste.
Neben den vier Sonaten, die bis auf die erste op. 4 alle biblische Bezüge aufweisen und diese quasi programmatisch verinnerlichen bzw. reflektieren, bereichern zwei inhaltlich und klanglich
konträre Märsche op. 17 („Brautzug“ und „Trauerzug“) die Einspielung. Ein sehr umfangreiches Booklet (dt./engl.) informiert umfassend in Bild und Text über Max Gulbins’ Vita, sein Schaffen, über
die Orgeln in seinem Umfeld und bietet so eine äußert interessant zu lesende Dokumentation zu dieser absolut empfehlenswerten Aufnahme mit einem hohen künstlerischen und archivalischen Wert.
Felix Friedrich